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Niemals ist eine solche Fülle staatlicher Neu- und Umbauten vorgenommen wie in der Gegenwart. Das Interesse für staatsrechtliche Fragen ist darum ungewöhnlich lebendig. Fast überall ist in unserm Weltteil das parlamentarische System zum Siege gelangt, und die einst übermächtige vollziehende Gewalt ist als bloßer Arm der Legislative zu einem Schatten herabgesunken. In Preußen ist auch dieser verschwunden und damit der Name eines obersten Exekutivbeamten. Die starke Konzentrierung der Staatsgewalt hat neuerdings eine entgegengesetzte Tendenz nach Differenzierung ausgelöst. Hiermit richtet sich der Blick auf Amerika, dessen eigentümliche Verteilung der Regierungstätigkeit den europäischen Staatsrechtslehrern von jeher ein interessantes Bild bot; denn in Europa hatte sich durchweg das Staatsleben in entgegengesetzter Richtung entwickelt 1). So betrachtete man bisher die Verfassung der Vereinigten Staaten mehr als ein Kuriosum von einem Standpunkt aus, der sich der Überlegenheit der heimatlichen Staatsform bewußt war. Das Urteil beginnt sich zu wandeln, und man fängt hier und da an, die amerikanische Verfassung mit anderm Auge anzusehen, nicht nur mit dem des Forschers, der interessante Objekte wissenschaftlicher Betrachtung sucht, sondern auch mit dem des praktischen Politikers, der nach Vorbildern für das eigene Land sich umsieht. Eduard Meyer erblickt in der Verwerfung des Parlamentarismus und der Aufrichtung einer kräftigen Staatsgewalt die Leistungsfähigkeit und Größe der Union (»Die Vereinigten Staaten von Amerika«, Frankfurt 1920). Erich Brandenburg weist in Nr. 24 der Woche, Jahrgang 1920, auf die selbständige Stellung des Präsidenten der Union hin, der im Gegensatz zu schwankenden Mehrheitskombinationen die Stetigkeit der Regierung sichert). Zu den Historikern gesellt sich der praktische

1) Hübner, S. 103, betont, daß die staatsrechtlichen Zustände Amerikas »auf das stärkste « von denen aller übrigen Verfassungsstaaten abweichen.

2) Professor Kahl beantragte bei der Verfassungsberatung in Weimar: Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze nach amerikanischem Beispiel (Hübner, S. 154).

Knust, Montesquieu.

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Staatsmann. Wenn Graf Posadowsky, der lange Zeit an hervorragender Stelle im Staate gestanden hat, der gegenwärtigen Reichsverfassung die Forderung entgegenhält: »der Staat soll zerfallen in eine vollziehende, gesetzgebende und richterliche Gewalt (Wahlrede in Halle a. S. nach der Halleschen Zeitung yom 17, 5. 1920), so macht er dadurch das Prinzip der amerikanischen Verfassung zu seinem eigenen. Eigentlich aber erneuert er nur die Theorie Montesquieus, die vergessen worden war. So führt das Studium von Verfassungsfragen heute wieder zu Montesquieu zurück. Auch die Tagesliteratur beschäftigt sich mit ihm. In einem Artikel der Magdeburgischen Zeitung vom 4.7. 1920 »Zur Frage des Beamtentums « wird ausgeführt: »Die Dreiteilung der Gewalten der Philosophie Montesquieus bildet für jede Staatsform die Grundlage, und es will mir fast scheinen, als ob die Verkennung dieser alten Weisheit.... einen Teil der Schuld an der Zerfahrenheit des öffentlichen Lebens trägt...«1).

So beginnt sich der Wandel in der Beurteilung des Politikers Montesquieu zu vollziehen. Für die in den letzten Jahrzehnten übliche Kritik ist folgendes Urteil Lansons über ihn typisch: >>Il reste un nom, il cesse d'être un maître... Notre démocratie échappe de plus en plus à ses cadres et à ses formules, et le réduit à n'être que le théoricien d'un passé médiocrement aimé «2) >>L'histoire de la littérature française, Paris 1903«. (Vgl. Koch,

1) Auch in der praktischen Politik Deutschlands äußert sich heute die Reaktion gegen die Vereinigung der gesamten Staatsgewalt in einem Parlament. Im Wirtschaftsausschuß kann der Ansatz zu einer zweiten Kammer erblickt werden, die neben dem rein politischen Parlament nach Berufsständen auszubauen wäre und die wirtschaftliche Gesetzgebung übernähme. Diese Entwicklung wird von weiten Kreisen unterstützt. Es wäre das eine eigentümliche Lösung des Problems der Gewaltenteilung, freilich nicht im Sinne Montesquieus, aber doch eine Abkehr von der absoluten Gewaltenkonzentration. Überboten wird die Forderung eines besonderen Wirtschaftsparlaments neuerdings durch die Idee eines dreigliederigen sozialen Organismus als Grundlage eines dreiteiligen Parlaments mit getrennten Körperschaften für politische, wirtschaftliche und kulturelle Fragen. (Man vgl. hierzu die Artikel in Nr. 24 und 25 des >>Tag « 1921 von Professor W. Rein und Reckleben.)

2) Wenn Millerand jetzt die Präsidentschaft unter der Bedingung angenommen hat, die allgemeine Zustimmung fand, daß die Stellung der Exekutive gegenüber der Legislative gestärkt werden müsse, nähert man sich damit wieder den »cadres« und »formules« Montesquieus. Unter Berufung auf Amerika hatte man schon vorher eine ähnliche Reform gefordert. (Vgl. Redslob »Die parlamentarische Regierung«. 1912, S. 185 und Hübner, S. 210 u. S. 214.)

Montesquieus Verfassungstheorie, S. 39: » Dagegen wird sein Werk als Überrest einer vergangenen Epoche .... schätzbar bleiben «<.) Die Lebenskraft seiner Theorie ist damals unterschätzt. Sie knüpft an eine der Grundrichtungen des menschlichen Wesens an und kann darum nur verdunkelt, mißverstanden, verzerrt werden, aber nicht untergehen. Der klarste Beweis der Geschichte dafür sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Überau anderswo stürzten die Regierungsformen oder bildeten sich um, und die Staaten wählten sich immer wieder ein neues Gewand. Hier allein erhielten sich die ursprünglichen Verfassungen im Wandel der Zeiten.

Naturgemäß erhebt sich die Frage: welches ist der Kern der Lehre Montesquieus, und wie stellt sich diese im amerikanischen Verfassungsleben dar? Die folgenden Seiten suchen eine Antwort darauf zu geben.

A. Die politischen Ideen Montesquieus.

a) Darstellung.

I. Die allgemeinen Ideen.

Im Vorwort zu seinem »Geist der Gesetze « bittet Montesquieu den Leser, nicht nach dem Eindruck eines Augenblicks oder nach einzelnen Sätzen über ein Werk von 20 Jahren zu urteilen: »Je demande une grâce que je crains qu'on ne m'accorde pas, c'est de ne pas juger, par la lecture d'un moment, d'un travail de vingt années, d'approuver ou de condamner le livre entier, et non pas quelques phrases «<. Seine Befürchtung war begründet. Die widerspruchvollsten Urteile sind über das Buch gesprochen. Das ist erklärlich bei einem bahnbrechenden Werk mit einer Fülle neuartiger Gedanken. Die Gegensätze der Kritik werden aber dadurch verschärft, daß einzelne Sätze einseitig herausgehoben wurden, anstatt sie im Lichte der beherrschenden Ideen zu sehen. So hat man vielfach das berühmte 6. Kapitel des XI. Buches für den Inhalt des ganzen Werkes genommen und zuweilen zu Forderungen des Verfassers gemacht, was einfach Erläuterungen von Lieblingsideen durch konkrete Beispiele waren. Das Mißverständnis, das in dieser einseitigen Berücksichtigung eines Teils liegt, ist begreiflich; denn die ungeheure Wirkung des Buchs auf politischem und staatsrechtlichem Gebiet knüpft an jenes Kapitel an. Zu seinem vollen Verständnis ist aber Kenntnis der Grundgedanken des Ganzen erforderlich.

Die übrigen historisch-politischen Schriften des Verfassers tragen vorbereitenden Charakter. Ihr Ideengehalt ist in den >>Geist der Gesetze « aufgenommen. Auf dies Werk allein hat sich also hier die Aufmerksamkeit zu konzentrieren; aber freilich auf das ganze. Leider hat Montesquieu durch seine Gleichgültigkeit in der Komposition, namentlich durch das Fehlen einer klaren Disposition, Mängel, die durch den langen Zeitraum der Entstehung noch verschlimmert wurden, die Irrtümer und Einseitigkeiten seiner Kritiker teilweise selbst verschuldet (Lanson, S. 700 ff.).

Um so dringender ist zunächst eine Feststellung dessen, was Montesquieu eigentlich gewollt hat, wenn der Einfluß seiner

Ideen behandelt wird. Es kann hier nur das Unerläßlichste angedeutet werden. Die Darstellung wird sich deshalb darauf beschränken, neben der Auffindung der Prinzipien jene Punkte hervorzuheben, die mit dem Gegenstand dieser Untersuchung in näherem Zusammenhang stehen. Namentlich wäre das besondere staatsrechtliche Programm herauszustellen, falls sich ein solches aus dem »Geist der Gesetze « gewinnen läßt.

Montesquieu schreibt im Vorwort: »Quand j'ai découvert mes principes, tout ce que je cherchais est venu à moi«. Diese Prinzipien sind nicht willkürlichen Reflexionen entnommen, sondern entstammen der Natur der Dinge: »Je n'ai point tiré mes principes de mes préjugés, mais de la nature des choses «. Er erblickt in der Natur einen ungeheuren Mechanismus, die ununterbrochene Verkettung von Ursache und Wirkung. Eine gegebene Kraft von gewisser Größe ruft eine entsprechende Wirkung hervor. Diese Erfahrung, auf das Staatsleben angewandt, gibt hierdurch dem Begründer staatlicher Einrichtungen das Mittel, gewollte politische und soziale Wirkungen zu erreichen. Der Gesetzgeber wird hier gleichsam aus dem Mechanismus der Natur herausgehoben und ihr gegenübergestellt. Der Staat gewinnt gewissermaßen den Charakter einer zu konstruierenden Maschine. Vor Willkür und Künstelei im Aufbau bewahrt den Gesetzgeber die Einsicht in die gesetzmäßigen Beziehungen von einem Lande und seiner Natur1) zu den Bewohnern und ihrem Nationalcharakter. Dieser »esprit général« ist das Resultat einer Fülle von Einflüssen: »>le climat, la religion, les lois, les maximes du gouvernement, les exemples des choses passées, les mœurs, les manières << (XIX, 4). Dadurch werden bestimmte Staatsformen und Einrichtungen gefordert: »C'est au législateur à suivre l'esprit de la nation, lorsqu'il n'est pas contraire aux principes du gouvernement; car nous ne faisons rien de mieux que ce que nous faisons librement, et en suivant notre génie naturel «. Ist die Staatsform den natürlichen Bedingungen nicht angemessen, so würde dieser innere Gegensatz ein gesundes politisches Leben von vornherein unmöglich machen. Befindet sich aber andrerseits eine Konstitution in Harmonie mit dem Grundcharakter von Land und Leuten, so vermag sie eine starke erziehende Wirkung auf die Glieder des Staates auszuüben, so daß in steter Wechselwirkung zwischen Gesetzgebung und Volkscharakter ein kräftiges Staatsleben entsteht. Die Idee dieser Wechselwirkung, ein Gedanke

1) Die Natur ist der grundlegende und entscheidende Faktor in Welt und Menschheit. Sie repräsentiert das Prinzip der Notwendigkeit. Auch unter Klima versteht Montesquieu oft die gesamten physischen Einflüsse.

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