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Im Bürgerkrieg wollten die Südstaaten die Union zwar preisgeben, aber die Konstitution behalten (Laboulaye III, S. 45). Ihre Wertschätzung wurde allgemein, oft enthusiastisch. Nüchterne Geister bewahrten sich ein besonnenes Urteil und betonten die staatsmännische Einsicht und kluge Mäßigung ihrer Urheber. Unter den folgenden Urteilen seien auch einige von Nichtamerikanern angeführt. Coolidge beschreibt sie als das Resultat der Arbeit »of highly intelligent men« (S. 5). W. Wilson meint, daß sie das Werk of selection«, nicht »of creation<< sei (Politics, S. 475). Hart erinnert an die der Verfassung zugrundeliegende Idee der Konstruktion einer »automatic machinery<< (Actual Government, S. 37). Butler indessen findet mehr Genialität in der Schöpfung und bezeichnet sie als »stupendous deed« (S. 5). Sehr viel kritischer ist W. Wilson, wenn er von der blinden Verehrung (blind worship) für sie spricht (Congressional Gov., S. 4). Reinsch bedauert, daß die gewöhnliche Frage lautet: was können wir unter der Konstitution tun, anstatt »welches ist die weiseste Politik für eine große Nation ?) (Readings, introduction). Bagehot bezeichnet sie als »the old words of an old testament« (bei W. Wilson, Congressional Gov., S. 242). Sie sei zwar ehrwürdig, aber unmodern, also revisionsbedürftig. Der Europäer aber ist im allgemeinen überrascht von der großen Verehrung für die Verfassung, die einem Kultus nahekommt. In der Gegenwart ist keine Abnahme darin zu bemerken. Carson: »Der Gott der Weisheit erleuchtete die Beratungen jener Stunde... von phänomenalem Erfolg. In der Geschichte der politischen Philosophie steht die Verfassung jederzeit allein<< (S. 38). Nach Ford gilt die Konstitution als »>spring of all our freedom and success << (Einleitung zum Federalist). Sie nimmt neben der Bibel die erste Stelle in der Achtung der Nation ein (Laboulaye III, S. 43). Der Europäer ist natürlich in seiner Anerkennung zurückhaltender. Nicht jeder fühlt sich durch die amerikanische Demokratie so angezogen wie Tocqueville oder gibt der amerikanischen Bewunderung für die Verfassung neue Nahrung wie Gladstone: »It is the greatest work ever struck off at any time by the mind and purpose of men« (bei Hart »Formation ...«<, S. 124). v. Holst beurteilt sie im ganzen günstig (»Verfassung..«, S. 58), nimmt aber Anstoß an dem Verfassungskult. Er zitiert, um ihn zu illustrieren, folgende Stelle aus einer amerikanischen Zeitschrift über die Verfassung (S. 30): »Such a government ... has its distinctly providential element. It was God's saving gift to a disturbed and imperilled people <<. Ihm treten Ford (Federalist, S. 172 Anm.) und Hitchcock (S. 21) entgegen. Darmstädter lehnt es ab, die Konstitution als ein

Werk von Doktrinären zu betrachten: »Aber sie ist keineswegs darum ein Werk von Doktrinären ..« (S. 87). Er hat Recht; allerdings ist sie das weniger als manche andere Konstitution. Montesquieus Theorie, wenn recht verstanden, ist eben ungemein praktisch und naturgemäß und kein Erzeugnis des Doktrinarismus.

Die unveränderte Hochachtung vor der Verfassung bei allen Schwankungen in der auswärtigen Politik kam auch im letzten Präsidentschafts-Wahlkampf zum Ausdruck. Der nachher mit großer Mehrheit gewählte Kandidat Harding erklärte in seiner letzten Kundgebung mit besonderem Nachdruck, daß er für die unversehrte Geltung der Verfassung eintrete, die von der gegnerischen Partei gefährdet sei. Wie das gemeint war, zeigt seine Abschiedsansprache, die er nach seiner Wahl an den Senat richtete, dem er bisher angehörte. Nach dem Berliner Tageblatt vom 7. 1. 21 schloß er, »nicht in der Kapitulation einer Seite, sondern in dem Zusammenwirken aller Zweige der Staatsgewalt verwirkliche sich der Gedanke einer großen und wahrhaft repräsentativen Volksregierung«. Es ist dies ein Bekenntnis zur Theorie des Gleichgewichts der Gewalten und erinnert deutlich an die oben geschilderten Kongreßdebatten über die Wahrung des ursprünglichen Verfassungsprinzips. Ein Verstoß hiergegen gilt als Verletzung der geheiligten Verfassung überhaupt. Das ist der schwerste Vorwurf, den man in Amerika gegen einen politischen Gegner erheben kann. Eine gewaltige Majorität hat bei der Wahl die Grundsätze Hardings gutgeheißen. Das Prinzip Montesquieus hat also nichts von seiner Bedeutung eingebüßt und besitzt anscheinend eine unverwüstliche Lebenskraft. Der Zeitungskorrespondent fügt seinem Bericht aus New York über die Rede Hardings folgende Bemerkung hinzu: »Die Idee der Gewaltenteilung, auf welche sich die amerikanische Verfassung gründet, hat sich während der Amtsführung des gegenwärtigen Präsidenten weniger in Zusammenarbeit der drei Faktoren von Verwaltung, Gesetzgebung und Rechtsprechung geäußert als in der Diktatur Wilsons über den Kongreß, während die Rechtsprechung ihre eigenen Wege schritt. Harding dagegen scheint wieder zu dem Grundgedanken des nordamerikanischen Konstitutionalismus zurückkehren zu wollen «. Diese Äußerung ist hier wörtlich wiedergegeben, weil sie 1. offenbar die amerikanische Auffassung widerspiegelt und 2. ein neues Anzeichen für die Kenntnis und Wertschätzung der Montesquieuschen Theorie durch die Tagespresse ist.

In seiner ersten Kongreßbotschaft bestätigte Harding den Entschluß, an dem bewährten Verfassungsprinzip unverbrüchlich festzuhalten. Er sagte nach der Magdeburgischen Zeitung,

Nr. 251, 1. Ausgabe (1921), daß er von einer Darlegung der künftigen Außenpolitik absehe, und fuhr fort: »Wir würden sonst bei der Reparierung der Fehler der vollziehenden Gewalt, die die bei Abschluß des wichtigsten Vertrages in der Geschichte der Nationen festgesetzten Befugnisse des Senats nicht anerkannte, in das andere Extrem verfallen, wenn der Kongreß oder der Senat die Funktionen der vollziehenden Gewalt an sich nehmen würde, was ebenso verwerflich wäre. Unsere höchste Pflicht ist die Wahrung der festgesetzten Vollmachten eines jeden und die Forderung dieses Geistes des Zusammenwirkens, der für unser gemeinsames Wohl so wichtig ist.« Vorläufig begegnet Harding noch manchem Mißtrauen. Doch darf folgendes Urteil des >>Manchester Guardian (Wochenausgabe vom 3. 6. 21)« nicht tragisch genommen werden: »The growing despotism of the Executive is one of the most alarming developments of our modern politics.« Die Zukunft muß lehren, ob es Harding gelingen wird, die rechte verfassungsmäßige Stellung zur Legislative zu finden, wie frühere Präsidenten.

Wenn E. Schulze von sklavischer Verehrung der Verfassung in Amerika spricht, so wird er der hohen Bedeutung solcher Wertschätzung nicht gerecht. Kein höheres Lob für eine Konstitution gibt es, als daß ein Volk in allen seinen Teilen sie für die beste unter allen möglichen hält, und geradezu von der Vorsehung für es geschaffen. Vermeintliche staatsrechtliche und logische Mängel kommen demgegenüber nicht in Betracht. Solange ein Volk die Grundpfeiler des Staates, die es selbst durch seine Führer errichtet hat, verehrt, stehen diese Pfeiler und damit der Staat überhaupt fest.

Neuerdings wird auch dem politischen Weitblick der Amerikaner unter ausdrücklicher Beziehung auf die Verfassung lebhaft Anerkennung gezollt. Ja, man empfiehlt entscheidende Bestimmungen derselben dem eigenen Volke zur Nachahmung (vgl. die Einleitung). Sie handeln von der Verteilung der staatlichen Macht, berühren also das Zentrum des amerikanischen Staatenbaues, die Gewaltenteilung. Damit nähert man sich wieder der Theorie Montesquieus. Montesquieu und als seine Schüler die Amerikaner wollen »die Freiheit sichern« oder »Tyrannei sowohl wie Anarchie « vermeiden; mit andern Worten: sie wollen mit der Notwendigkeit starker Staatsgewalt möglichst weitgehende Freiheit des Individuums in Einklang bringen, indem sie den Mißbrauch kraftvoller Staatsgewalt vermindern. Hierfür gibt es eben nur zwei Wege: man schwächt sie, wie vielfach in Europa, oder man verteilt sie auf mehrere Organe. Auf dem ersten Wege läuft man Gefahr, sie zu untergraben. Dieser Weg ist be

denklich. Zu dem zweiten riet Montesquieu, und die Amerikaner hörten auf seinen Rat. Seine Theorie ist also nicht tot. Sie feiert auch nicht etwa jetzt ihre Auferstehung; denn sie war niemals tot, nur in Europa vergessen. Ranke behält also recht: >>Die Doktrin Montesquieus war eine Abstraktion aus dem Vergangenen, ein Ideal für seine Epoche und zugleich ein Programm für die Zukunft<< (Werke XXIV, S. 266)1).

Im Grunde hat Amerika allein dies Programm ausgeführt.

1) E. Brandenburg Wie gestalten wir unsere künftige Verfassung?< Leipzig 1919, empfiehlt wichtige Bestimmungen der amerikanischen Verfassung für Deutschland: S. 20, 27, 32, 33, 34, 38, 39, 45, 47. Er fordert (S. 50) Erhaltung und Sicherung der individuellen Freiheit<< bei voller Wahrung der Interessen der Gesamtheit (vgl. hiermit Montesquieus Standpunkt, wie o. S. 14/15 dargelegt).

Was er über den Weg zur Verwirklichung dieser Forderung sagt, ist besonders bedeutungsvoll (S. 51): Eine gewisse Garantie liegt schon in der Trennung der gesetzgebenden, ausübenden und richterlichen Gewalt sowie in dem Zweikammersystem ... (vgl. o. S. 1 u. 153, ferner zu Montesquieus Standpunkt S. 18).

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