Imágenes de páginas
PDF
EPUB

10 Jahre früher die Annahme des neuen Prinzips bewirkten. Hätten jene nicht in der Autorität Montesquieus gelegen, würde man sich 1787 nicht unausgesetzt auf diesen fremden Theoretiker, sondern auf die Schöpfer der Staatenverfassungen und noch mehr auf die kolonialen Erfahrungen berufen haben. Aus der Art, wie sie aber den »Geist der Gesetze « zitieren, geht unzweideutig hervor, daß sie in ihm keineswegs einen Kommentar der englischen Verfassung dafür hatten sie Blackstone sondern eine Quelle selbständiger Ideen sahen. Sie berufen sich also auf die Autorität Montesquieus an sich und niemals auf seine autoritative Auslegung der englischen Verfassung.

Bryce selber würdigt die bestimmende Macht der Montesquieuschen Doktrin und erkennt die Bereitwilligkeit der amerikanischen Staatsmänner an, Theorien anzunehmen, deren Wahrheit ihnen einleuchtete, die klare Formulierung und Systematisierung von Ideen waren, die in ihnen ursprünglich nur als politischer Instinkt lebten. Da ist nun nicht einzusehen, warum er nicht an entscheidender Stelle die Konsequenz dieses Einflusses Montesquieus auf die Gestaltung der Verfassung zieht. Die psychologische Erklärung liegt darin, daß er als Engländer vornehmlich den englischen Geist in allem sieht, und was sich nicht auf direkte Einwirkung des englischen Staatsrechts zurückführen läßt, wenigstens dem gemeinsamen anglo-amerikanischen Temperament zuschreiben möchte. Das ist eine leicht erklärliche national bestimmte Subjektivität des Kritikers, wie sie sich in viel stärkerem Maße in dem französischen Bestreben zeigt, den amerikanischen Einfluß auf ihre »Menschenrechte« und ersten konstitutionellen Einrichtungen zu leugnen.

Zugegeben, daß die amerikanischen Staatsmänner schon von selbst über staatsrechtliche Probleme in ähnlicher Weise dachten wie Montesquieu, und daß dies auch die von ihnen geschaffenen Institutionen aus der Kolonialzeit zeigten. Aber nur eine scharfe begriffliche Erfassung dieser mehr gefühlsmäßig empfundenen Anschauungen und die Anerkennung der so gewonnenen Formel als eines staatsrechtlichen Prinzips konnte das amerikanische Verfassungsleben so grundsätzlich anders als das europäische gestalten. Man achte z. B. nur auf die Entwicklung in Frankreich und Belgien, wo man doch sogar Montesquieus Prinzip anzuwenden suchte, freilich nur als eines unter mehreren. Das Ergebnis in Amerika ist allein möglich durch klare Erfassung der Montesquieuschen Theorie und energische wie geschickte Anwendung dieses als maßgebend anerkannten Prinzips.

Die willige Annahme und Anwendung einer Theorie ist kein Anzeichen von Doktrinarismus, gegen den man die amerikanischen

Staatsmänner verteidigen muß. So frei sie davon sind, sind sie es gleichfalls vom Vorurteil des Dilettantismus gegen die Wissenschaft und von gewagten Experimenten eines bloßen Empirismus. Sie verwerten gern die Ergebnisse des theoretischen Staatsrechts, wenn sie erkennen, daß die Theorie durch eine in die Tiefe dringende Erforschung allgemeiner Gesetze wie scharfsinnige Beobachtung der Praxis entstanden ist und darum befruchtend auf diese zurückwirken kann.

Erst nach Beendigung dieser Arbeit lag mir ein neues Werk von F. Luckwaldt über »Die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika«, Berlin 1920, vor. Es geht auch kurz auf die Geschichte des amerikanischen Verfassungslebens ein und bietet besonders im 5. Kapitel eine Darstellung der Verhandlungen des Nationalkonvents von 1787 und seiner Schöpfung, der Bundesverfassung. Das eigentümliche Verhältnis von Legislative und Exekutive wird zutreffend charakterisiert und »die außerordentliche Tragweite der Verschiedenheit « (S. 167) von den englischen Verhältnissen hervorgehoben. Zur Erklärung dieses Gegensatzes wird gesagt: »Schließlich zeigte sich der übermächtige Einfluß des Dogmas von der Teilung der Gewalten« (S. 167). Da dies »Dogma << vorher nur nebenher erwähnt wurde, erscheint sein siegreiches Auftreten unerwartet und unerklärlich, steht sogar in gewissem Widerspruch zu früheren Feststellungen des Verfassers. Als Hauptquelle der Bundesverfassung werden nämlich >die Gesetze und Gewohnheiten « (S. 165) der einzelnen Kolonien und späteren Staaten bezeichnet. Von den Kolonien aber heißt es, daß sie »schließlich doch sämtlich zu einer genauen Reproduktion der englischen Verfassung gelangt« (S. 33) waren. Woher also der scheinbar unvermittelte und überwältigende Einfluß eines Dogmas, und wie kam es, daß man vom kolonialen Staatsrecht nach englischem Muster zu einer Konstitution gelangte, die so entschieden von diesem Muster abwich?

Montesquieus Einfluß wird auf eine Linie mit dem Lockes und Blackstones gestellt. Locke gab wohl Argumente in philosophischer Form für die Forderung der Volkssouveränität, die man ja in einzelnen Neu-Englandstaaten längst vor Locke besaß, war aber als praktischer Staatsmann seit der unglücklichen Carolina-Verfassung diskreditiert (s. oben S. 87), wie Luckwaldt selber nachweist (S. 18). Blackstone galt als maßgebender Interpret der englischen Verfassung und tüchtiger Jurist. Von seiner Lehre zweier Gewalten (König und Parlament), die er an anderer Stelle ersetzt durch die landläufige Theorie vom dreigliedrigen Parlament (king, lords and commons), führt kein Weg zur Gewaltenteilung, wie sie die Amerikaner annahmen.

Alle Schwierigkeiten werden aufgehoben und die sich aufdrängenden Fragen beantwortet, wenn man das allmähliche Eindringen der Montesquieuschen Theorie ins Auge faßt. Nicht erst im Laufe der Debatten von 1787 setzt sie sich durch, wie man nach Luckwaldt annehmen müßte (S. 164). Der Wendepunkt im Verfassungsleben wird vielmehr durch die Virginia-Konstitution von 1776 bezeichnet. Bei Eröffnung des Nationalkonvents stand die Gewaltenteilung an sich überhaupt nicht mehr zur Debatte, sondern war schon in den ersten Tagen einstimmig gebilligt. Man stritt nur um eine möglichst wirksame und klare Form der Anwendung.

Die Stellung des Kabinetts unter dem Präsidenten und das Fehlen eines direkten Verkehrs der Staatssekretäre mit dem Kongreß ergibt sich einfach aus der konsequenten Befolgung des Verfassungsprinzips und bedarf keiner weiteren Begründungen, wie sie L. gibt (S. 183).

Woher aber die Männer von Virginia schon 1776 das Prinzip nahmen und warum sie es adoptierten, sagen sie uns bei den Beratungen im Nationalkonvent und bei der Ratifikation der Bundesverfassung in ihrem Heimatsstaat (es waren ja zum Teil dieselben Führer): sie wollen auf dem von Montesquieu vorgeschlagenen Wege die Freiheit sichern, d. h. mit einem kräftigen Staatswesen möglichst weitgehende Rechte des Individuums verbinden oder einen Ausgleich von Zwang und Freiheit suchen (vgl. oben S. 14).

Ergebnis.

Die Bundesverfassung zeigt alle Kriterien der Montesquieuschen Theorie (o. S. 55/56)1). Das Prinzip derselben, das von Amerika selbständig nach seinen Bedürfnissen gestaltet wurde, liegt in der Differenzierung statt der Konzentrierung der Gewalten und in der Bindung der Entwicklung an eine autoritative Konstitution2).

Amerika nahm aber nicht die Gewaltenteilung nach dem historisch-ständischen oder einem ähnlichen Prinzip qualitativer Natur vor, wodurch die Verteilung stets beschränkt wird in der Wahl des Subjekts oder Trägers der staatlichen Funktionen. Frei von jeder Gebundenheit an ein gegebenes Subjekt wird die Gewaltenteilung allein nach dem logischen Prinzip Montesquieus vorgenommen, das in der Natur der staatlichen Tätigkeit liegt.

1) Ford, Herausgeber des Federalist, Anm. zu S. 320: From his ,Esprit des lois' the framers of American constitutions drew the principles embodied in the various state and federal constitutions <. 2) Ebenso urteilt Hübner, S. 89/90.

Die an einem Beispiel in konkreter Form im »>Geist der Gesetze« (XI) gegebenen staatsrechtlichen Grundsätze werden dadurch zwar formaler und allgemeiner, aber gerade so zu einer Theorie erhoben, die als allgemein gültiges Konstitutionsprinzip für alle Verfassungen gelten könnte. Das ist, wie gezeigt, ganz im Geiste Montesquieus und keine Überwindung seiner Theorie, sondern ihre richtige Interpretation und Anwendung.

Knust, Montesquieu.

C. Die Geschichte der Verfassungen

bis zur Gegenwart.

a) Die Bundesverfassung.

Wohl wurden die amerikanischen Verfassungen auf die Theorie der Gewaltenteilung gegründet; aber bis heute besteht in Europa das Mißtrauen in die Möglichkeit, das theoretisch festgelegte Gleichgewicht der Gewalten in der Praxis zu bewahren. Die Skeptiker sagen: sei auch das Gerüst des Staatenbaues noch so sorgfältig errichtet, die drei Hauptpfeiler richtig abgemessen und berechnet1), es verschiebt sich bald und verliert die ursprüngliche Harmonie der Teile. Nur durch nachträgliche Stützen und Streben könne der Einsturz verhindert werden. Dies Bild läßt die Konstitution starrer erscheinen, als sie ist. Daß sie Elastizität genug besitzt (dagegen Bagehot im Federalist, S. 479, Anmerkung: >>There is no elastic element, everything is rigid, specified, dated <<), um vorübergehende Verschiebungen zu ertragen und wieder in das anfängliche Gleichgewicht zurückzukehren, beweist ihre Geschichte. Indem die Untersuchung ihr folgt, wird sie nur einige charakteristische Momente, die für das Verfassungsprinzip von Bedeutung sind, herausheben.

Am meisten war eine baldige Übermacht der Legislative zu fürchten. Carson (S. 97): »The evil most to be apprehended was that.. the legislature would still be an overmatch for them (für die vollziehende und richterliche Gewalt)«. Aber die ersten kraftvollen Präsidenten erhöhten das Gewicht der Exekutive, obschon, entgegen der Erwartung, die Legislativen die Wahlmänner zunächst überall selbst wählten, anstatt dies dem Volke zu überlassen (»that he may be justly styled the man of the people << Wilson, Debates II, 448). Erst nach 1825 wurde die Volkswahl der electors allgemein bis auf North Carolina, das sich diesem Verfahren erst nach 1860 anschloß. Es handelte sich bald darum, die Konstitution in Zweifelsfällen zu interpretieren. Das war zunächst Sache der Legislative. Willkür war

1) Laboulaye (III, 94): »Niemals ist eine Verfassung mit mehr Berechnung eingerichtet worden als die amerikanische; nichts ist in ihr dem Zufall zu verdanken «.

« AnteriorContinuar »